Zum 24. Mal fand das Brillux Architektenforum mit erneut sehr guter Resonanz statt und bestätigte damit seine Funktion als anerkannte Dialogplattform für Architekten. Unter dem Titel „Stolz und Vorurteil“ widmete sich die Veranstaltung in Hannover dem spannenden Thema vom Umgang mit Tradition und Fortschritt in der Architektur. Hochkarätige Referenten stellten anhand ihrer eigenen Ansätze und Projekte unterschiedliche Betrachtungen zu dem Thema zur Diskussion. Zusätzlichen Informationsstoff zur zeitgenössischen Architektur- und Rekonstruktionsdebatte gab es auch bei den professionell geführten Architekturexkursionen zu ausgesuchten Stadtquartieren und Bauprojekten in Hannover.
Beim Brillux Architektenforum, das im Schloss Herrenhausen stattfand, wurden gleich drei Komponenten miteinander verbunden: Der Veranstaltungsort als Impulsgeber, die Referenten als Vordenker und die thematischen Exkursionen zum realen Erleben von Architektur. Bei strahlendem Sonnenschein konnten die Teilnehmer Hannovers facettenreiche Architektur- und Stadtgeschichte erkunden. Auch mit der 24. Auflage dieses Veranstaltungskonzeptes konnte eine rege Architekturdebatte angestoßen werden, die gewohnt souverän von Burkhard Fröhlich, ehemaliger DBZ-Chefredakteur, Bauverlag BV GmbH, Gütersloh, moderiert wurde. Im Mittelpunkt stand diesmal das kontrovers diskutierte Thema, wie Tradition und Fortschritt in der Architektur in Einklang gebracht werden können.
Rekonstruktionsprojekt
Zum Auftakt der Veranstaltung gab es von Dr. Bernd Adam, Büro für Bauforschung in Garbsen, einen historischen Schnelldurchgang zur wechselvollen Geschichte von Schloss Herrenhausen. Der 2012 fertiggestellte Neubau folgt in seiner heutigen äußeren Anmutung dem klassizistischen Vorbild des ehemaligen Sommerschlosses der Welfenfamilie – im Inneren dagegen ist aus dem Lustschloss des Adels ein modernes, multifunktionales Tagungszentrum geworden. Der Bauhistoriker, der das Rekonstruktionsprojekt maßgeblich mitgestaltet hatte, stellte eindrucksvoll die Wiedererrichtung des auf das 17. Jahrhundert zurückgehenden Schlosses dar.
Architektur als Balanceakt
Nie wurde so viel gebaut wie heute, nie standen der Architektur so viele technische und gestalterische Möglichkeiten zur Verfügung. Und doch gibt es ein allgemeines Unbehagen an der zeitgenössischen Architektur. Genau damit beschäftigte sich Sergej Tchoban, TCHOBAN VOSS Architekten, Hamburg Berlin Dresden, in seinem Vortrag. Eindrucksvoll führte er aus, wie die Moderne die Balance zwischen herausragenden Gebäuden und den sie umgebenden Hintergrundbauten verloren hat – und welche Rolle Baudetails und ästhetische Bauqualität dabei spielen. Er zeigte auf, was die Gegenwartsarchitektur berücksichtigen muss, um ein harmonisches Gesamtbild in Städten zu entwickeln. Dazu stellte er ein Verhältnis von 30:70 imposanter Bauten zu namenloser Hintergrundarchitektur zur Diskussion. „Wir müssen es schaffen, wieder massive, monolithische Wände mit geschmückten Oberflächendetails zu bauen, die sich bis ins Gebäudeinnere wiederfinden, ohne historisch zu sein.“
Moderne Baukunst
Auch der am Nachmittag referierende Architekt Prof. Dr. Paul Kahlfeldt, Berliner Architektenbüro Petra und Paul Kahlfeldt, der zudem Professor an der TU Dortmund ist, übte Kritik an der heutigen Architektur: Viele Kollegen bauten Häuser nur für andere Architekten oder um Wettbewerbe zu gewinnen. Wie sein Vorredner forderte auch er von den Architekten ein stärkeres Bewusstsein für ihre baulichen Aufgaben sowie für ihre gesellschaftliche und soziale Verantwortung. Polarisierend differenzierte Kahlfeldt zwischen Gebäuden und Architektur, zwischen Fastfood und Essen, zwischen Turnschuhen und Bekleidung. Architektur sei nicht unbedingt bewohnbar, wohingegen es sich in einem handwerklichen Gebäude wunderbar leben ließe, auch ohne die „kulturelle Steigerung“ Architektur. Kahlfeldt plädierte dafür, schöner zu bauen, „damit unsere Enkel die Häuser nicht abreißen!“. Klassizismus scheint dafür das Wahre, denn genau diesem Baustil hat sich Kahlfeldt verschrieben. Villen mit Säulen und Walmdach, Sprossenfenstern, aufwendiger Fassadengestaltung und traditionellen Raumabfolgen. Seine Entwürfe, noch heute von Hand gezeichnet, erinnern an die Gründerzeit – sind aber dennoch neu interpretiert und mit seiner Handschrift versehen.
Ganzheitlicher Entwurfsanspruch
Zum Abschluss gab Dr. Christian Bergmann vom international bekannten Hamburger Architekturbüro Hadi Teherani profunde Einblicke in den ganzheitlichen Entwurfsanspruch des Büros, der von der Architektur bis hin zum Produktdesign reicht. Dabei ginge es neben der Funktion um die Form, um Emotionen, Ausstrahlung und Identität. „Identitätsstiftende Gebäude verlangen eine eindeutig definierte, anschauliche Architektur, die funktionale Vorteile mit emotionaler Ausstrahlung zusammenbringt“, so Bergmann, der auch über Wechselbeziehungen zwischen den Baubeteiligten, über Rahmenbedingungen sowie über Strategien und Prozesse zur Bewältigung der Aufgabe, nachhaltig und zukunftsfähig zu bauen, sprach.
Architektur – on Tour
Eine willkommene Unterbrechung zwischen den beiden Vortragsblöcken waren die kenntnisreich geführten Architekturexkursionen: Bei sonnigem Herbstwetter ermöglichten sie, häufig nur schwer zugängliche Bauprojekte und Bauaufgaben im direkten urbanen Kontext vorgestellt zu bekommen. Die Teilnehmer konnten zwischen sechs thematischen Touren wählen: Dazu gehörten die Arbeiterquartiere Herrenhausen, Leinhausen und Stöcken, das Stadtquartier Hainholz, die Nordstadt und das Areal rund um den Klagesmarkt, die Altstadt Hannovers, das Zooviertel und der Stadtteil Linden.
Die Teilnehmer der Zooviertel-Tour hatten beispielsweise die Gelegenheit zu einem exklusiv geführten Rundgang durch das mehr als 100 Jahre alte Congress Centrum (HCC). Vor Ort konnten sie sich dabei einen Eindruck von der neuen Optik und Bestuhlung, sowie von der optimierten Beleuchtung und Akustik machen. Darüber hinaus erfuhren sie historische und bauliche Details zu dem nach mehr als 50 Jahren freigelegten und zum Teil rekonstruierten Relief an den Wänden. Lutz Wohlers, Leitung Gebäudemanagement, lieferte dazu die Hintergrundinformationen und Fakten der Schwerpunktrenovierung. „Der mit 3.600 Plätzen größte klassische Konzertsaal Deutschlands ist nun wieder auf der Höhe der Zeit", hob Lutz Wohlers hervor. „Damit bleibt Hannover in der Champions League der Konzertsäle."
Mit einem Get-together fand die Veranstaltung einen Abschluss und ermöglichte den Teilnehmern und Referenten, den informativen wie anregenden Gedankenaustausch in entspannter Atmosphäre fortzusetzen.
Zum Brillux Architektenforum
Das Brillux Architektenforum hat sich als Dialogplattform für Architekten etabliert und findet zweimal jährlich an unterschiedlichen Schauplätzen statt. Das informative Gespräch und der direkte Austausch mit Kollegen sind ein wichtiger Teil des Konzepts. Zur Einstimmung werden ausgesuchte Bauprojekte in ihrem urbanen Kontext in professionell geführten Exkursionen vorgestellt, auf denen sich viele Gelegenheiten zum direkten Gespräch mit den Entwurfsverfassern bieten. Nachmittags erläutern international bekannte Architekten ihre Gestaltungskonzepte und ihre Arbeitsweisen. Durch die große Vielfalt an architektonischer Kompetenz ergibt sich viel Stoff für lebhafte Diskussionen und neue Perspektiven.