Nach oben scrollen
Brillux Radio

Metaphern für morgen: Denkmalschutz rettet, erhält und bewahrt

Fotos: Philipp Langenhein © Freunde von Freunden, Simon Menges, Filip Dujardin

Dieser Artikel erschien in der colore #graphitgrau

Bestellen Sie die Printausgabe per E-Mail an: kontakt@brillux.de

Es beginnt mit einer Entscheidung. Architekten zeigen im Umgang mit denkmalgeschütztem Bestand verschiedene Haltungen: Alt und Neu bilden Fugen, Brüche und Kontraste oder versöhnen sich zu einer poetischen Synthese, die Zukunft schafft.

"Rekonstruktion bedeutet Zerstörung", meint David Chipperfield, als er mit der Sanierung des Neuen Museums in Berlin beauftragt wird. Überambitionierte Reparaturen und zweifelhafte Übersetzungen vergangener Baustile löschen Zeitschichten, und lebendige Zeitzeugen verstummen. Manche Baudenkmäler blicken mit ihren Wunden und Narben auf eine wechselhafte Geschichte zurück, die ebenso erhaltenswert sein könnte wie die ursprüngliche Substanz selbst. Welche Motivationen und Ziele vertreten Architekten beim Bauen im Bestand? Die Denkmalpflege wolle einerseits erhalten, bewahren, konservieren und mitunter rekonstruieren – andererseits verstehe sie sich ebenso als eine "schöpferische, vorausschauende Disziplin", schreibt Architekt und Denkmalpfleger Thomas Will. Der Umgang mit historischem Bestand erfordert viel Feingefühl, ein Gespür für das Wesentliche sowie eine ausformulierte Haltung. Bewahren ist eine Kunst für sich. Ein Baudenkmal stellt Fragen an Architektur, Denkmalbehörden und Gesellschaft. Denkmalschutz bleibt ein Prozess, der Vergangenheit und Zukunft im Jetzt verhandelt.

Ergänzende Wiederherstellung

Eine wegweisende Position für den Umgang mit historischer Bausubstanz und behutsames Weiterbauen findet sich mitten in Berlin. Dort feierten 2009 die Fachpresse, das Feuilleton und die Besucher die Wiedergeburt des Neuen Museums. Die einstige Ruine auf der Museumsinsel sollte in ihrem fragmentarischen Zustand erhalten, in ihren fehlenden Bauteilen ergänzt und auf diese Weise wiederhergestellt werden. Das damals noch junge Studio von David Chipperfield Architects antwortete in den 90er-Jahren auf die Aufgabe dieser "Ergänzenden Wiederherstellung" der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit unverputzt sichtbaren Hinzufügungen: Neues ist als Neues erkennbar, fügt sich aber in das Alte ein. "Es war eine Absichtserklärung, eine Vision, als ich sagte, wir erhalten alles, was da ist, und vervollständigen den Rest", erinnert sich Chipperfield, der mit diesem Projekt seinen Bürostandort in Berlin begründete. Weil der Erhalt der vorhandenen Fragmente an erster Stelle steht, wird eine einheitliche Rekonstruktion vermieden, was nicht jedem gefällt. Denkmalschutz polarisiert zuweilen.

Architektur der Unschärfe

Überaus unerschrocken erweist sich die Position von Bruno Fioretti Marquez Architekten beim Umgang mit dem teilzerstörten Ensemble der Meisterhäuser in Dessau. Auch hier geht es nicht nur um eine denkmalgeschützte Ikone, sondern wie beim Neuen Museum um UNESCO-Welterbe. Angelehnt an die menschliche Erinnerung interpretiert das Architektentrio die Siedlung mit Unschärfe, sodass eine ganz bewusste Wahrnehmung von Bestand und Neuinterpretation möglich wird. Durch die Wahl von Material und Textur und eine drastische Reduktion von Details werde der Besucher in die Lage versetzt, zwischen Bestand und Reparatur klar zu unterscheiden, so die Architekten. Seit der Wiedereröffnung 2014 bestimmen die reparierten Meisterhäuser die Debatten rund um Denkmalpflege und Denkmalschutz.

Betontisch im Brutalismus-Erbe

Nach den Grundprinzipien der Charta von Venedig, auf die sich 1964 Denkmalpfleger und Architekten als internationale Richtlinie geeinigt haben, müssen sich ersetzende Elemente "dem Ganzen harmonisch einfügen und vom Originalbestand unterscheidbar sein, damit die Restaurierung den Wert des Denkmals als Kunst- und Geschichtsdokument nicht verfälscht". Die Verwandlung der Berliner St.-Agnes-Kirche von Werner Düttmann in eine Galerie für zeitgenössische Kunst bildet da eine logische Ausnahme: Das Denkmal des Brutalismus wurde erst 1965–67 errichtet. Brandlhuber+ Emde, Schneider setzen ihre baulichen Eingriffe nicht ab. Eine eingezogene, beheizte Betonebene auf Stützen teilt den bis zu 20 Meter hohen Hauptraum horizontal: Oberhalb dieses "Betontisches" befindet sich der Ausstellungsraum, darunter Lager- und Büroflächen.

"Da Düttmann ganz bewusst in Beton und Spritzbeton gearbeitet hat, wollen auch wir ganz bewusst nicht mit einem anderen Material dagegengehen, sondern versuchen vielmehr, die Eigenlogik Düttmanns weiterzuverfolgen", erklärt Arno Brandlhuber in der Bauwelt. Sein Team habe im Umgang mit dem Denkmal besonders die Grenzen der in der Charta von Venedig formulierten Adaptierung durch "eine der Gesellschaft nützliche Funktion" interessiert. 2004 von seiner Gemeinde verlassen, hat sich der ehemalige Kirchenbau mit dem Einzug der Galerie König 2015 als Pilgerort der Kunst- und Kulturszene etabliert. Weil der Betontisch aus dem Baudenkmal einfach wieder demontiert werden kann, ist der selbstbewusste Bestandseingriff dennoch besonders behutsam konzipiert.

Form follows history

Um ältere Zeitschichten geht es in Eisleben. Mit ihrem Entwurfskonzept gelingt den Architekten Silvia Schellenberg- Thaut und Sebastian Thaut von Atelier ST ein kluger Kompromiss sowie die Versöhnung ihres Auftraggebers – Stiftung Luthergedenkstätten – mit dem Denkmalamt. Während sich die Stiftung nicht nur aus Kapazitätsgründen einen Neubau für Archivund Veranstaltungsräume wünschte, plädierten die Denkmalpfleger für den Erhalt des historischen Luther- Geburtshausensembles: ein denkmalgeschützter, 150 Jahre alter Bestandsbau, der jahrzehntelang leer stand.

Nach der Devise "Form follows history" folgten die Architekten konsequent den Vorgaben von Ort und Bestand, wobei der Altbau komplett entkernt und der Neubau als homogener Stahlbetonbau konstruiert wurde. Beide Schichten formen zusammen eine Art Haus im Haus.

Angelehnt an die historische Dachneigung bildet die gartenseitige Dachform dabei eine Referenz an die tiefgezogenen Steildächer in Eisleben – auf diese Weise vermitteln die Architekten zwischen Bestand, Neubau und Umgebung. Die historische Fassade zur Straßenseite hin wurde rückgebaut und die von Putz und Mörtel freigelegten Ziegel mit einer Sumpfkalkschlämme versiegelt. "Ein neues Ganzes" nennt das Leipziger Büro seinen Ansatz. Alt- und Neubau überlagern sich zu einer neuen Gesamtfigur. "Sie wahrt einerseits den Bezug zur Geschichte des Gebäudes als Teil der historischen Stadtstruktur Eislebens, und andererseits verleiht sie mit einer eigenständigen Architektursprache dem Stadtraum neue Impulse. Diese Haltung vereinte auch die Interessen von Bauherren, Kommune und Denkmalpflege", sagen die Architekten. 2016 wurde das Lutherarchiv eröffnet.

Rettung einer Ruine

Mit einem ebenso interessanten wie ungewöhnlichen Vorschlag haben sich die belgischen Architekten Jan De Vylder, Inge Vinck und Jo Taillieu 2016 in der Gemeinde Melle im Großraum Gent der Herausforderung eines extrem niedrigen Budgets gestellt: Sie machten Bauen im Bestand zu einem Experiment. Auf diese Weise konnten sie den maroden, vernachlässigten Bestand der psychiatrischen Klinik PC Caritas Melle vor dem Abriss retten und wiederbeleben. Aufgabe war es, einen Freiraum zu gestalten, der als Platz auf dem großen Areal ein Zentrum bildet. Die Architekten ließen das historische, denkmalgeschützte Backsteingebäude (Baujahr 1908) nicht behutsam sanieren, sondern rückbauen und öffnen. Es bleibt nicht mehr als eine entkernte Hülle im Landschaftspark stehen. Türen und Fenster wurden teilweise entfernt, Decken durchstoßen. Dieser radikale Entwurf will das Unfertige und den Verfall inszenieren.

Um die Reparaturarbeiten nicht zu verstecken, ließ das Architektenteam die Risse im Mauerwerk mit im Versatz angeordneten Betonsteinen ausbessern. Für die Statik sorgt eine neue Tragstruktur aus Stahl, die zwischen dem alten Backstein grün leuchtet. Glashäuser, die an Gewächshäuser erinnern, dienen als geschützte Räume im geöffneten Bestand, dessen Dach sich teilweise schutzlos zum Himmel öffnet. Dieses transparente Haus-im-Haus-Konzept erlaubt den Erhalt einer besonderen Architektur ohne die Kosten einer aufwendigen Sanierung. Innen- und Außenraum verbinden sich auf surreale Weise, was ein Baum, der durch das offene Dach wachsen darf, verstärkt. Jan De Vylder, Inge Vinck und Jo Taillieu gelingt mit diesem abenteuerlichen Umbauprojekt eine feinsinnige Bespielung von Zwischenräumen. Durch die rohe Reparatur und die Leichtigkeit der hinzugefügten Einbauten verwachsen Alt und Neu miteinander. Die Narben entfalten eine unbeirrte, ehrliche Ästhetik, die sich stetig verändern wird.

Verhandlung von Weiterbauen, Verschleifen und Neuerfinden

Die Idee von herausgestellten Fugen und Kontrasten empfindet Helga Blocksdorf als "unangenehm". Bei ihren Umbau- und Sanierungsprojekten versucht die Berliner Architektin, Alt und Neu miteinander zu "verschleifen", damit beides zusammen eine organische Einheit ergibt. "Die harte Polarität von Alt und Neu zu relativieren und jene radikale Freiheit zu erproben, die es erlaubt, nicht nur das Neue zu erfinden, sondern auch das Alte weiterzubauen", basiert auf der Haltung von Thomas Will. Ihr Projekt für die Remise Rosé steht ganz im Ansatz des Neuerfindens.

In Berlin-Rosenthal hat Helga Blocksdorf eine laufende Baustelle übernommen. Teile der Sanierung waren bereits im Bau, die Sauberkeitsschicht markierte das neue Baufeld, das Fundament wäre der nächste Schritt gewesen – ein von der Denkmalschutzbehörde verhängter Baustopp der Startschuss für das Neudenken. Dass ihr Team für den Anbau der profan nachgenutzten Remise einen radikal anderen Entwurf beim Bauamt einreichen konnte, mit dem sich auch das Denkmalamt zufrieden zeigt, bildet die Basis für das Wohnund Atelierhaus. "Auch wenn ein denkmalgeschütztes Ensemble im Ranking weniger hoch aufgehängt ist als das Einzeldenkmal, war die Aufmerksamkeit des Denkmalschutzes in Berlin-Rosenthal sehr hoch, weil in der jüngeren Vergangenheit viele Umbauten in der Gegend nicht in ihrem Sinn vorgenommen wurden", erklärt die Architektin. In intensiven Verhandlungen kann Blocksdorf das Denkmalamt von ihren geplanten Eingriffen überzeugen: "Vertrauensbildende Maßnahmen sind sehr wichtig."

Detaillierte Zeichnungen, Modelle, Putzmuster, Fassadenmuster und Farben stimmt die Architektin stets mit dem Landesdenkmalschutz und den Kolleginnen auf der Fachebene ab, die das Projekt eng begleiten. Eine Auflage des Denkmalschutzes war, dass das Haus als ablesbare ostdeutsche Zeitschicht wieder verputzt werden sollte, obgleich es im originalen Bauzeitalter (ca. 1830-50) ein Ziegelbau war: Zum Einsatz kommt ein nicht eingefärbter Putz als Rohmaterial, weil der Sand des Putzes die Farbe bestimmt. "Genau das interessiert mich als Architektin", sagt Blocksdorf: "Wie man im Rahmen eines extrem niedrigen Budgets dennoch Architektur erschaffen kann." Waren die Fenster für die alte Remise schon mit einem geraden Sturz bestellt, kann sie den Bauherrn überzeugen, dass die Fenster doch den Bogen einhalten und nicht mit einem Stück Holz ausgefüttert werden. Der neue Wohnraum für die Familie, ein monolithischer Kopfbau aus hochdämmenden Ziegeln, schließt nahtlos an die Remise an. Eingedeckt und überputzt, verschleift sich das Neue mit dem Alten. "Ich arbeite gern mit dem Denkmalschutz", sagt Helga Blocksdorf. Was als Bedingung im Bauantrag notiert wurde, müssen Architekten dann auch einhalten und einlösen. Denkmalschutz bedeutet gegenseitiges Vertrauen, dann kann etwas Besonderes entstehen.

Im Spannungsfeld zwischen Hindernis und Potenzial

Zwischen Schutzstatus und Regelwerk, Entwurf und Methode, Erhaltung und Energieeffizienz, Zukunft und Vergänglichkeit bedeutet Denkmalschutz für Architekten und Planer ein Spannungsfeld. Setzen sich Alt und Neu ablesbar voneinander ab, wie es die Charta von Venedig fordert, werden sie von einer Fuge getrennt oder verschleifen sich die alten und neuen Bauteile miteinander zu einer Synthese mit eigenem Ausdruck? Längst begreifen viele Architekten geschützten Baubestand nicht mehr als Hindernis, sondern als Potenzial.

Silikatsystem als ökologische Alternative

Silikatsystem als ökologische Alternative

Beim nachhaltigen Bauen kommt der Wahl der Materialien ein hoher Stellenwert zu.

..mehr