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Harte Schale, weicher Kern

Fotos: Udo Meinel, Berlin

Dieser Artikel erschien in der colore #himmelblau

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Mehr als 100 Jahre wurde auf der Halbinsel Stralau Glas hergestellt und verarbeitet, bevor Mitte der 1990er-Jahre die Produktion eingestellt wurde. Im Auftrag einer neu gegründeten Baugruppe wurde das ehemalige Werkstattgebäude der Stralauer Glashütte zum gemeinschaftlichen Wohnen umgebaut und damit zu einer Herzensangelegenheit für alle Beteiligten.

Das klar ablesbare ausgemauerte Eisentragwerk des Werkstattgebäudes aus dem Jahr 1923 mit dem prägnanten Einschnitt in Längsrichtung, der früher der Zugdurchfahrt diente, mit dem darüber liegenden 39 Meter langen genieteten Stahlträger sowie die Reste zweier Verbindungsbrücken an der Ostfassade machen den Wiedererkennungswert des Gebäudes aus.

Die Umnutzung hat aus dem Fabrikgebäude ein Wohngebäude mit 25 Wohnungen und einer Gewerbeeinheit gemacht. Behutsam wurde der denkmalgeschützte Bestand saniert und wieder seiner ursprünglichen Gestalt angenähert. Dunkle Zinkfassaden mit großen Fenstern umschließen das einst offene Erdgeschoss und – als Reminiszenz an das frühere Bitumendach – auch das neue aufgestockte Dachgeschoss. Aktuelle Ergänzungen, darunter neue Balkone, sind im Kontrast dazu mit rostigem Stahl verkleidet.

  • <p>Die Großzügigkeit der Wohnungen wird durch die Verschmelzung der Ebenen unterstützt. Einbauten wie farblich abgesetzte Sanitärblöcke bilden Hintergründe und Funktionsinseln, die hinter dem Raum an sich zurücktreten.</p>

    Die Großzügigkeit der Wohnungen wird durch die Verschmelzung der Ebenen unterstützt. Einbauten wie farblich abgesetzte…

Sensible Eingriffe, große Wirkungen

Die charakteristische Stahlstruktur des Bauwerks sollte auch in den Innenräumen sichtbar bleiben. In die hohen lichtdurchfluteten Etagen wurden niedrige Sanitär- und Serviceboxen eingestellt, deren Decken zusätzliche Stauflächen bieten.

Es entstanden fließende Räume und Blickachsen quer durch das Gebäude, die in den Wohnungen den Loft-Charakter erhalten. Für den Umbau und die Sanierung wurden ökologische, nachhaltige Baustoffe verwendet. Die Wiederverwendung und das Upcycling von alten Bauelementen und Baumaterialien führen bei der Begehung des Gebäudes immer wieder zu Überraschungen.

 

Der Ort ist nicht jungfräulich, er hat schon eine gewisse Reife, erzählt Tausende von Geschichten und atmet sie einzeln aus, sobald man einen Stein anhebt.

Anita Eyrich, Eyrich-Hertweck Architekten

 

Die Redaktion hat mit den verantwortlichen Architekten Anita Eyrich und Christian Hertweck von Eyrich-Hertweck Architekten gesprochen:

colore: Solch ein Projekt kann nur zu einer Herzensangelegenheit werden, oder?

Christian Hertweck: Ja, das stimmt. Anscheinend ging es aber allen Beteiligten so. Die Projektentwicklerin Tanja Zieske hat als Erste das Potenzial dieses Ortes und des Gebäudes erahnt. Die Berliner Senatsverwaltung stimmte dem Kauf der Immobilie dann zu, da wir wohl die Einzigen waren, die dieses Bauwerk nicht abreißen wollten. Alles ging Hand in Hand: das Finden von privaten Investoren, die einen ähnlichen Anspruch an Architektur haben wie wir und unseren sensiblen und in vielen Bereichen auch aufwendigen Umbau mitgetragen haben. Die Denkmalbehörde hat ebenfalls mit uns an einem Strang gezogen – sonst wäre das ganze Projekt nicht möglich gewesen.

colore: Was war das Besondere an diesem Projekt?

Anita Eyrich: Bauvorhaben mit solch drastischen Nutzungsänderungen finde ich immer besonders spannend. Der Ort ist nicht jungfräulich, er hat schon eine gewisse Reife, erzählt Tausende von Geschichten und atmet sie einzeln aus, sobald man einen Stein anhebt. Wir haben den Anspruch, dass wirklich ganzheitlich geplant wird – Funktion, Nachhaltigkeit und die Ästhetik stets im Blick. Und zwischendurch werden einige Bereiche fokussiert, aufwendig ausformuliert – so wie das Haus-in-Haus-Konzept, der Umgang mit den Stahlträgern und das Platzieren der Versorgungskuben. Das geht nur mit Bedacht und großer Sensibilität.

colore: Das Projekt hat den kfW-Award gewonnen. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Christian Hertweck: Ich halte es für extrem wichtig, dass ein Projekt dieses Formats honoriert wird. Es soll exemplarisch dafür stehen, dass es sich lohnt, sich ein paar mehr Gedanken zu machen, eben nicht von der Stange zu entwerfen, nicht den einfachsten, günstigsten, pragmatischsten Weg zu gehen, sondern mit Herzblut und höchstem Anspruch hinsichtlich Gestaltung und Nachhaltigkeit zu agieren.

colore: Welches Farbkonzept liegt diesem Bauwerk zugrunde?

Anita Eyrich: Nun, die Farbe des Backsteins – meistens in alter Fassung, teils durch neue ergänzt – und das dunkelgraue Stahlträgerwerk geben dem ganzen Gebäude seinen Charakter – früher wie heute. Farbe an sich wurde nur als Akzent innerhalb der Wohnungen in Absprache mit den Eigentümern angebracht. Viel Farbe war nicht notwendig, da die innen teils sichtbaren Backsteinwände, in abgetöntem Weiß gestrichene (Zwischen-)Wände, die sichtbaren Träger und verschiedenen Ebenen innerhalb der Wohnungen schon für gestalterische Akzente sorgen. Da bedarf es nicht noch einer dekorativen Buntheit. Wir haben teilweise die Möbel für die Wohnungen maßgeschneidert entworfen und haben dann an einigen Stellen Farbakzente gesetzt. Den Rest an Buntheit bringen die Menschen, die dort leben. So ein Haus ist doch eher die Bühne und das dort stattfindende Leben an sich die Inszenierung.

 

Farbe an sich wurde nur als Akzent innerhalb der Wohnungen und in Absprache mit den Eigentümern angebracht.

Anita Eyrich

 
Die Farbtondarstellung am Monitor ist nicht verbindlich.
Scala 93.03.06
Scala 27.12.30
Scala 33.06.15
Scala 72.09.15
 
 

OBJEKT | STANDORT Glashütte Alt-Stralau, Berlin

BAUHERR | NUTZER Baugruppe Glashütte Alt-Stralau GbR, Berlin

ARCHITEKTEN

Eyrich-Hertweck Architekten, Berlin

TECHNISCHER BERATER Guido Bode, Brillux Berlin/Pankow

AUSFÜHRENDER MALERBETRIEB

Spachtel-Art GmbH, Berlin

 
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