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Historisches Handwerkszeug: Die Pigmentmühle

Fotos: Conny Trumann

Dieser Artikel erschien in der MarktImpulse 1/20

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Früher war alles besser? Nicht ganz. Früher war die Arbeit viel kraftraubender und langwieriger. Damals war alles echte Handarbeit: Ein Maler musste die Rohmaterialien selbst transportieren und auch die Farben herstellen. Dafür nannte er sich Künstler – zu Recht!

Farben verleihen ganzen Städten und Regionen ein besonderes Flair, einem bunten Fingerabdruck gleich, den erst die Maler ihnen aufdrücken. Farben faszinierten die Menschen schon immer. Bereits in der Steinzeit versuchten sie, der Natur Farben in Form von Erden, Mineralien, tierischem oder pflanzlichem Material abzuringen, um sie auf Steinreiben zu zermahlen. Ein immenser Kraftaufwand.

Als im 17. Jahrhundert im Zuge der Industrialisierung dann die Pigmentmühlen erfunden wurden, war es erstmals möglich, Farben in (etwas) größeren Mengen herzustellen.

Der Rundgang durch das Glockenhaus des Malermuseums in Hamburg aus dem frühen 17. Jahrhundert fühlt sich an wie eine Zeitreise durch acht Jahrhunderte. Im ersten Moment blenden und beeindrucken den Besucher die glänzenden silbernen Zunftpokale, Siegel und Amtsketten und die farbenfrohen großformatigen Fahnen.

Einige sind noch heute aktuell und werden jedes Jahr von der Hamburger Innung hervorgeholt,um die alten Traditionen hochzuhalten: "Einer dieser alten 'Willkommen'-Pokale und die Amtskette werden sogar heute noch in der St.-Lukas-Feierstunde bei den jährlichen Meisterfreisprechungen benutzt", erklärt Michael Sommersell, Vorsitzender des Fördervereins des Malermuseums in Hamburg.

Aber all der Prunk kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Beruf ein echter Knochenjob war. Die körperliche Arbeit verlangte den Malern viel ab. Sie war aber, wie heute noch, auch eine Kunst: Die Maler vor zweihundert Jahren verstanden sich in erster Linie als Künstler, sie malten vor allen Dingen Gemälde.

Fassaden wurden von Tünchern und Weißbindern gestrichen, die auch eine aufwendige Meisterprüfung ablegen mussten. Nachdem sich die Malerei zur Kunst entwickelt hatte, schlossen sich die Disziplinen zusammen und das Berufsbild des Malers, wie wir es heute kennen, war geschaffen.

Doch wie schafften die Maler es vor hunderten Jahren, ihre Kunstwerke zu erschaffen? Und mit welchen Werkzeugen hantierten sie tagtäglich? Michael Sommersell begleitet uns als Experte in die Vergangenheit und beschreibt in jeder Ausgabe ein altes Werkzeug aus der Handwerkskunst. Dieses Mal: die Pigmentmühle.

 

Einen Besuch wert

Das Maler- und Lackierermuseum in Hamburg dokumentiert die Geschichte des Malerhandwerks anhand von gut erhaltenen Arbeiten, Maschinen und Werkzeugen. Zeitgeschichtliche Dokumente, Gesellen- und Meisterbriefe, Zunftgegenstände und Prüfungsarbeiten verdeutlichen eindrucksvoll die Arbeitstechniken und Lebensweisen der Malergenerationen aus acht Jahrhunderten.

Zur Website des Malermuseums

 
  • <p>Ein Topf voll gemahlenem Goldocker – zuvor wurde stundenlang an der Farbmühle gearbeitet</p>

    Ein Topf voll gemahlenem Goldocker – zuvor wurde stundenlang an der Farbmühle gearbeitet

  • <p>Wie ein antiker Tuschkasten:&nbsp;In kleinen Holzkästchen bewahrten die Maler ihre Pigmente auf</p>

    Wie ein antiker Tuschkasten: In kleinen Holzkästchen bewahrten die Maler ihre Pigmente auf

  • <p>Diese Mühlen fanden sich bis in die 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in vielen Malerwerkstätten. Als es dann industriell hergestellte Pigmente und Farben gab, hatten sie ausgedient</p>

    Diese Mühlen fanden sich bis in die 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in vielen Malerwerkstätten. Als es dann…

  • <p>Damals wie heute beliebt – ein Dauerbrenner: Goldocker ist ein Verwitterungsprodukt von eisenhaltigen Gesteinen und Mineralien. Er wird gern verwendet, weil er als lichtecht und wetterfest gilt</p>

    Damals wie heute beliebt – ein Dauerbrenner: Goldocker ist ein Verwitterungsprodukt von eisenhaltigen Gesteinen und…

Ein harter Brocken

Die Grundlage für viele Farben war farbiger Stein. Um den in Pigmentpulver zu verwandeln, musste er einen langwierigen Herstellungsprozess durchlaufen. "Er wurde in schweren Pigmentmühlen aus Gusseisen zermahlen, was ordentlich Muskelkraft und sehr viel Ausdauer bedurfte", erklärt der Experte. "Das bedeutete für jeden Maler: kurbeln, was das Zeug hält."

Gab ein Kunde beispielsweise eine Hausfassade in Auftrag, konnte allein der Beschaffungs- und Herstellungsprozess der dafür benötigten Farbe viele Tage andauern. Schon der Transport war aufwendig und anstrengend: In kleinen, schwergängigen Handwagen mit großen Speichenrädern, die die Maler selbst schieben mussten, transportierten sie ihre Materialien vom Erzeuger oder von der Apotheke in ihre Werkstatt.

Oft ruckelten sie dafür mit der schweren Fracht mehrmals am Tag durch die schlammigen oder staubigen Straßen. Anschließend wurden die Pigmente in den Mühlen der Farbküchen gemahlen. Ob das Ergebnis fein genug war, zeigte die Nagelprobe: Entstand beim leichten Berühren der Daumennägel aneinander ein kleiner Hof, so waren die Pigmente noch nicht fein genug vermischt. Anschließend wurde gesiebt und weiterverarbeitet.

Da ein Pigment allein noch keine Farbe macht, kam noch Bindemittel hinzu. Für Wandanstriche war Kalk, für Anstriche auf Holzuntergründen Leinöl das geeignete Bindemittel. Jeder Maler entwickelte eigene, gut gehütete Rezepturen – die Wirkung und Strahlkraft hing auch von den individuellen Lasur- und Mischtechniken ab.

Jede Farbe ein Unikat

Die größte Herausforderung sei für die Maler jedoch gewesen, erläutert Michael Sommersell, die Farbe für einen Auftrag annähernd identisch hinzubekommen. "Jeder Brocken Stein oder Mineral unterscheidet sich vom anderen. So wurde jede Farbe naturgemäß zu einem Unikat." Es musste nicht perfekt sein, das war nicht möglich. Der Anspruch war vielmehr, dass die unterschiedlichen Nuancen auf einer Wand oder Fassade ein harmonisches Ganzes ergeben sollten. Moderne Farben hingegen schaffen eine einheitliche Oberfläche.

Diese ewige Zitterpartie des Farbmischens ist heute unvorstellbar. Wir können uns Farbtöne bequem mithilfe von Farbfächern aussuchen und anmischen (lassen). Was für ein Luxus, wenn man sich diese historische Pigmentmühle anschaut. Fazit: Dieses Werkzeug vermisst heutzutage kein Maler – zumindest nicht im Tagesgeschäft. Nur wer auf alte Techniken spezialisiert ist, z. B. im Denkmalschutz, findet dafür noch Verwendung.

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