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Eine starke Farbe braucht einen starken Grund

Fotos: Nicolas Borel

Dieser Artikel erschien in der colore 19 #grasgrün

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Das Headquarter des Nachrichtensenders Euronews hat mit dem "Green Cube" in Lyon ein neues Zuhause gefunden, das seinesgleichen sucht. Weithin leuchtet das Gebäude in Neongrün, zwei "Augen" schauen aufs Wasser, die perforierte Außenhaut nimmt die Bewegungen des Flusses Saône auf.

Nach dem "Orange Cube", der nur einige Schritte entfernt liegt, hat das Architekturbüro Jakob + MacFarlane damit ein zweites ikonisches Bauwerk in dem ehemaligen Industriegebiet geschaffen. Wir sprachen mit Brendan MacFarlane über den Green Cube, die Macht der Farbe und die Anfänge einer Erfolgsgeschichte.

In welchem Kontext stehen der Orange Cube und der Green Cube zueinander?

Brendan MacFarlane: Beide sind aus demselben Wettbewerb für die Bebauung eines stillgelegten Docks hervorgegangen. Es sollten Vorschläge für entweder eins oder zwei der freien Grundstücke gemacht werden. Wir haben uns für zwei entschieden und eine Idee entwickelt, die an beiden Standorten funktioniert. Lyon basiert auf dem Prinzip einer italienischen Renaissancestadt. Es gibt viele fantastische, offene Räume, und beim Flanieren gelangt man von einem zum nächsten. Die Stadt ist mit ihren Menschen verbunden. Die Menschen stellen die Verbindung her, indem sie sich bewegen und ihre Stadt erkunden. Das wollten wir am Fluss fortführen. Zusätzlich zu dieser Idee haben wir mit der Wiederholung gespielt. Wenn die Menschen nun auf der Promenade entlang des Flusses spazieren, sehen sie zuerst den einen Cube, dann den anderen – und damit sehen sie auch ein Ensemble. Neben der Form und der Machart finden sich auch die Löcher in beiden Gebäuden wieder, die sie für Luft und Licht öffnen. Wir haben also zwei Gebäude geschaffen, die aus derselben konzeptionellen Feder stammen.

Orange und Neongrün sind sehr starke Farben. Wie haben Sie sie ausgewählt?

Brendan MacFarlane: Es gibt verschiedene Gründe für die Wahl dieser Farben. Zunächst einmal gab es zwei Themen für die beiden Gebäude. Der Orange Cube ist ganz dem Thema Gastronomie gewidmet – Lyon ist ja berühmt für eine herausragende Küche. Im Orange Cube gibt es eine "School of Food", eine Bibliothek rund um Themen wie Catering etc. Hier haben wir uns für das starke, aktive und warme Orange entschieden. Wir haben diese Farbe aber auch gewählt als Bindeglied zur industriellen Vergangenheit – Orange erinnert ja auch an die Farbe eines Industriewerkzeugs. Hinzu kommt, dass dieser ehemalige Industriestandort grau, schwarz, dunkel war und wir ihn öffnen wollten für das Licht, für die Menschen, für die Freude am Spazieren. Das einzigartige und beruhigende Grün steht als Gegenstück zum Orange für die Ruhe, das Wasser, den Fluss. Schließlich ist das Thema des Green Cube "Entspannung". Hier hatten wir beispielsweise ursprünglich die Einrichtung eines Schwimmbads in den beiden unteren Etagen vorgeschlagen. Zu guter Letzt haben wir auch zwei starke, leuchtende Farben gewählt, weil in Frankreich Gebäude am Wasser aus Sicherheitsgründen für den Schiffsverkehr normalerweise in kräftigen Farben – beispielsweise Gelb, Orange oder Rot – gestaltet sind.

Der Green Cube hat eine dynamisch wirkende Außenhaut – wie ist sie beschaffen?

Brendan MacFarlane: Es gibt zwei Schichten. Da ist zunächst die innere wasserdichte Ebene, die aus flachen grünen Platten besteht, durchbrochen von horizontalen Fensterbändern. Sie ist etwas dunkler als die äußere Schicht. Die "Außenhaut" ist etwas heller grün, 25 cm von der inneren entfernt und perforiert. Die Muster der Perforation stammen von dem Künstler Fabrice Hyber. Diese Schicht hat zwei Funktionen: Zum einen ist sie identitätsstiftend, zum anderen dient sie als Sonnenschutz. Das ist übrigens bei beiden Gebäuden der Fall.

Welche Macht hat Farbe generell?

Brendan MacFarlane: Farbe ist sehr mächtig. Sie ist meiner Meinung nach eines der wichtigsten Elemente, mit denen Architektur arbeiten sollte. Viele Architekten haben Angst, mit Farbe zu arbeiten, was absurd ist, denn es ist fantastisch, mit ihr zu gestalten. In der Architektur neigen wir oft dazu, uns in einem Spektrum von Weiß, Grau und Schwarz zu bewegen und den Raum irgendwie zu neutralisieren. Es ist einfacher, etwas Neutrales in Beziehung zum bereits Existierenden zu setzen. Man geht damit auf Nummer sicher. Farbe ist kraftvoll, aber auch bedeutungsschwer. Daher setzen wir sie nur dort ein, wo wir sie für wichtig halten. Klar, wir machen auch farbneutrale Gebäude – wenn wir es für angemessen erachten. Wann immer wir mit Farbe arbeiten, haben wir einen guten Grund dafür. Wir legen großen Wert auf die Wahl einer Farbe für ein Gebäude. Wenn es sich um eine starke Farbe handelt, muss es dafür einen starken Grund geben.

 

Wenn man sich generell für Farben interessiert, dann für alle Farben. Die Frage ist, wann und wie man sie verwendet. Wenn man das verinnerlicht hat, öffnet man sich dem kompletten Spektrum.

Brendan MacFarlane

 

Eine private Frage zwischendurch: Welche Rolle spielt Farbe bei Ihnen zu Hause?

Brendan MacFarlane: Wie ich lebe, ist vermutlich das Gegenteil von dem, was Sie erwarten: langweilig-neutral. Das ist entspannend. In der Gestaltung unserer Privaträume müssen wir keine großen Aussagen treffen. Es ist einfacher, für andere etwas zu erschaffen. Ich habe lediglich zwei Buddhas, die ich in Vietnam gekauft habe, sie haben die gleichen Farben wie die Cubes und stehen bei mir im Regal. Als wir in Lyon arbeiteten, hatten die Cubes einen enormen Einfluss auf unser Leben, es gab Feedback aus der ganzen Welt. Als ich die beiden Buddha-Gesichter in genau diesen Farben sah, war der Kauf vor allem ein Scherz. Humor ist einfach wichtig im Leben.

Erzählen Sie uns etwas über Ihre Arbeitsweise und die spezielle Vorgehensweise in Lyon.

Brendan MacFarlane: Wir nehmen immer viele Aspekte rund um ein neues Projekt unter die Lupe, in diesem Fall zum Beispiel die Geschichte des Geschehens am Fluss. Es gab dort unter anderem Lagerhäuser für Weizen oder Sand. Die Hälfte der Gebäude am Fluss wurde abgerissen, um Platz für neue Bauwerke zu schaffen. Früher kamen die meisten Boote aus Zentralfrankreich, und die Flüsse waren hochindustrialisierte Wasserstraßen, ganz anders als die Flüsse von heute. Die Bereiche an den Wasserstraßen waren geschäftlich und industriell genutzt. Lyon ist eine Stadt zwischen zwei Flüssen – Rhône und Saône. Die Stadt hatte also immer eine Beziehung zum Wasser, aber die Flüsse wurden nicht als etwas Schönes gesehen – wie etwa in London. Sie wurden industriell genutzt und rein funktional betrachtet. Natürlich gibt es Brücken, natürlich gibt es Ufer und die Möglichkeit zu flanieren – aber die Bewegung und Präsenz der Flüsse wurde nie wirklich gefeiert. Nun war die Anforderung, Bürogebäude zu schaffen, die zugleich ikonische Qualität haben sollten. Die Öffentlichkeit würde am Ufer entlanglaufen. Es musste also aktiv gestaltet werden, und es gab einiges zu bedenken: den historischen Rückblick, die Flüsse Saône und Rhône mit ihren unterschiedlichen Charakteren und Farben. In der konzeptionellen Phase sehen und erfahren wir viele Dinge, führen eine Art Archivierung durch und bauen eine Geschichte auf. So fügt sich peu à peu alles zu einem Konzept zusammen. Die beiden Gebäude nehmen das Leben, die Lichter, die Bewegung des Flusses auf – und sie schauen aufs Wasser, nicht in die Landschaft.

Auf der ganzen Welt wurden in den letzten Jahrzehnten Industriestandorte umgenutzt – ein Beispiel, das Sie besonders schätzen?

Brendan MacFarlane: Ehemalige Industriestandorte haben in den letzten 20 Jahren in Europa wahrscheinlich die größten Freiheiten eröffnet, spannende Dinge zu tun. Es gibt eine ganze Reihe interessanter Projekte, die an Flüssen oder Wasserstraßen, Seewegen und Ufern entstanden sind. Mir gefällt beispielsweise die Elbphilharmonie sehr, denn sie spricht eine spannende architektonische Sprache an einer historischen industriellen Wasserstraße. Das Dach hat sicherlich eine besondere Qualität – so in ein Volumen zu "schneiden", das machen wir auch mit den Cubes. Ein weiteres großartiges Beispiel für einen umgenutzten ehemaligen Industriestandort ist der Hudson River Park in New York. Offensichtlich haben hier viele verschiedene Akteure zusammengearbeitet, um das Beste zu schaffen – nachhaltig, sensibel und innovativ. Entstanden ist ein Freizeit- und Sportangebot für alle Altersgruppen, ein wahrer Genuss.

Die Elbphilharmonie ist ein echtes Wahrzeichen – wann sollte ein Gebäude ein Eye-Catcher sein? Wann sollte es eher unauffällig gestaltet sein?

Brendan MacFarlane: Es ist immer absolut wichtig, dem Standort entsprechend zu planen –auch, was den Einsatz von Farbe angeht. Wir Menschen schaffen eine enorme Menge sehr banaler und neutraler Gebäude auf der ganzen Welt. Wir sollten kreativer und weniger neutral sein. Ich denke, dass die gebaute Umgebung viel mehr Kreativität vertragen kann, als man denkt. Wenn Sie sich die Städte der Vergangenheit anschauen, sind die um einiges interessanter und reichhaltiger als das, was heute gebaut wird. Schauen Sie sich die Städte des Mittelalters oder auch des 19. Jahrhunderts an. Fantastische Dinge passierten – heute erscheint mir vieles zu neutral und damit auch zu langweilig. Die Frage ist doch auch: Bin ich stolz auf das, was ich für meine Kinder oder die Kinder anderer Menschen geschaffen habe? Kann ich besondere Momente schaffen? Hier gibt es einen extremen Mangel an Ehrgeiz. Wir sollten unsere Instinkte und unsere Vitalität in die Gestaltung unserer Städte einbringen und Vielfalt zulassen. Neutrale Städte machen uns aggressiv gegenüber allem, was anders ist. Und das ist ein großes Problem für die Menschheit. Daher mein Appell an alle Kreativen, mutig zu sein und die Umgebung von morgen zu gestalten.

Sie haben früh beschlossen, einer dieser Kreativen zu sein, die Umgebungen schaffen. Was war für Sie die wichtigste Lektion während des Studiums?

Brendan MacFarlane: Eine sehr wichtige Erfahrung, vielleicht die wichtigste: bewegen, reisen, Architektur sehen. Heute ist das für viele Studenten eine Selbstverständlichkeit. Ich habe das getan, weil ich gemerkt habe, welchen großen Einfluss es auf mich hatte. Mein Weg als Student führte mich von Neuseeland über Australien nach Los Angeles. Es geht nicht darum, im Studio zu sitzen und zu zeichnen –zumindest nicht vordringlich. Das muss einfach parallel laufen. Als ich Anfang der 1980er-Jahre nach Los Angeles kam, wurde viel und sehr originell gebaut. Ich fuhr mit anderen Studenten herum, um die im Bau befindlichen Projekte zu sehen. Das hatte einen großen Einfluss auf mich und meine Arbeit und machte einen wichtigen Teil der Ausbildung aus.

Sie sind auch später viel unterwegs gewesen. Sie erwähnten eine Reise nach Vietnam. Welche landesspezifische Architektur hat Sie am meisten inspiriert?

Brendan MacFarlane: Als ich nach Vietnam flog, war ich wirklich sehr inspiriert von Ho Chi Minh City. Das begann schon beim Landeanflug. Wenn Sie tiefer über die Stadt fliegen, sehen Sie alle diese – größtenteils verblichenen – Farben: eine unglaublich große Auswahl an Blau-, Grün- und Gelbtönen. Interessanterweise ist das Gelb im Gegensatz zu den anderen Farben dort meist nicht blass, sondern ziemlich kräftig. Es gibt also sehr starke und eher asiatisch blasse Farben, darunter auch Braun- und Rottöne. Die Stadt ist wie ein Patchwork aus niedrigen Gebäuden, die aus übereinandergelegten Materialien und Geometrien bestehen. All das macht diese interessante und inspirierende Stadt aus, die mich sehr an Mexico City erinnert. Auch dort beginnt die Inspiration bereits beim Anflug. Und so, wie sich die Stadt aus der Luft öffnet, öffnet sie sich weiter am Boden. Die Kulturen in diesen Ländern hatten die Freiheit, die Stadt im Laufe der Zeit zu gestalten, ohne dass es zu emotionalen Brüchen kam. Es liegt eine gewisse Freude in dieser Mischung und Komplexität.

Liegt diese originelle, "patchworkartige" Bauweise auch daran, dass es dort nicht so viele Einschränkungen gibt wie hierzulande?

Brendan MacFarlane: Vermutlich. Ich denke, jeder Architekt sollte hin und wieder versuchen, Regeln zu durchbrechen. Wenn Sie auf eine innovative Stadtplanung stoßen, was recht selten ist, dann ist das die pure Freude. Auch wenn Landschaftsarchitekten und Stadtplaner kreativ zusammenarbeiten, kann das sehr inspirierend sein. Im besten Fall gibt es keine Einschränkungen hinsichtlich Material, Farbe und Gebäudeöffnungen. Als Architekt wünscht man sich diese Art von Freiheit. Schließlich schaffen wir Lebensräume. Einschränkungen führen zu neutralen, rauen Umgebungen – das ist sehr deprimierend. Am Ende geht es darum, Kreativität entstehen zu lassen.

 

Jakob + MacFarlane Architects ist ein Architekturbüro mit Sitz in der französischen Hauptstadt Paris. Mittelpunkt der Arbeit ist die permanente Suche nach einer Re-Interpretation des Ortes, daher ist die Arbeitsweise stets durch die Erforschung des Kontextes bestimmt, um adäquat auf die gegebene Situation einzugehen.

Dominique Jakob, geboren in Frankreich, absolvierte die Ecole d'Architecture Paris-Villemin (1991), nachdem sie an der Université de Paris (1990) Kunstgeschichte studiert hatte. Von 1994 bis 2004 unterrichtete sie an der Ecole Spéciale d'Architecture und der Ecole d'Architecture Paris-Villemin und Malaquais. Zusammen mit Brendan MacFarlane gründete sie 1992 Jakob + MacFarlane Architects. Seit 2013 ist sie Consulting Architect bei der Stadt Toulouse und war Mitglied des Verwaltungsrats der CNAP (Paris-La Défense).

Brendan MacFarlane, in Neuseeland geboren, promovierte am Southern California Institute of Architecture (Sci-Arc) in Los Angeles (1984) und machte seinen Master an der Harvard Graduate School of Architecture in Boston (1990). Er unterrichtete an der Bartlett School of Architecture in London, an der Ecole Speciale d'Architecture in Paris und am Sci-Arc in Los Angeles (2006). Er wird regelmäßig eingeladen, an Konferenzen und als Juror an Veranstaltungen weltweit teilzunehmen.

Porträtfoto: Alexandre Tabaste photographer

 
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