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Weiß ist mehr als Weiß

Titelfoto: Guido Erbring, Köln

Dieser Artikel erschien in der colore 14

Weder Freischwinger noch Wassily-Stuhl, sondern eine ganze Villa – die einzige von Marcel Breuer in Deutschland. In einer erfolgreichen Kooperation von Bauherr, Architekt und Denkmalpflege konnte das "Haus Harnischmacher II" in Wiesbaden erhalten werden.

Mit Stolz erklärt Martin Horsten, Leiter der städtischen Denkmalbehörde, dass es allen Beteiligten gelungen ist, das stark sanierungsbedürftige Haus über einen zwei Jahre währenden Revitalisierungsprozess größtenteils zu erhalten. Als einziges Werk des berühmten Bauhaus-Meisters in Deutschland.

  • <p>Grundriss der Marcel-Breuer-Villa</p>

    Grundriss der Marcel-Breuer-Villa

Volker Schreiber, der die Sanierung architektonisch betreut hat, sagt zu den Zielen: "Wir wollten das Denkmal originalgetreu erhalten. Wir wollten aber gleichzeitig – schließlich ist das Haus ja ein Dokument des modernen Wohnens der 1950er-Jahre – modernes Wohnen nach den heutigen Standards einschließlich Technik, Energieeinsparung etc. ermöglichen." Vieles musste abgestimmt werden, Kompromisse gab es auf allen Seiten.

Voraussetzung war freilich, dass Horsten und Schreiber Erfolg darin hatten, das Interesse der neuen Eigentümer für die besondere Architektur Breuers zu wecken. Sie sogar zu begeistern. Allerdings: Dass bis auf den Grundriss keine Originalpläne mehr vorhanden waren, erschwerte die Planung zusätzlich. Und doch, nähert man sich über einen abfallenden Zuweg dem Haus, so strahlt das Gebäude, als hätte Breuer es gerade abgenommen und den Handwerkern für ihre Arbeit gedankt.

Die strenge Geometrie, die weiß verputzten Wände, die grau abgesetzte Attika, das zur Sonnenseite weit auskragende Flachdach, die schmalen Fensterbänder nach Norden, bodentiefe Fenster nach Süden: Die wesentlichen Charakteristika von Breuers Architektursprache fallen schon von Weitem ins Auge. Inklusive zweier hervorstehender Wandscheiben, die den Besucher zum vollverglasten Haupteingang leiten.

Anders als das 1932 fertiggestellte und 1945 zerstörte "Haus Harnischmacher I", das Breuer als didaktisches Demonstrationsobjekt der Klassischen Moderne entworfen hatte (und ihm alsbald internationales Renommee einbrachte), hat der seit 1937 in den USA lebende und gereifte Architekt eine harmonisch ins Landschaftsbild eingefügte Villa im Grünen geplant.

 

"Weil von dem Haus bis auf den Grundriss keine Planunterlagen vorhanden waren, war ‚Fährten lesen‘ unsere erste Pflicht. Dies gilt auch für die Farben. Ursprünglich hatte Marcel Breuer offenbar an ein buntes Haus gedacht, er hat aber dann die Farben bewusst zurückgenommen. Durch dieses Reduzieren kommen die verwendeten Materialien – wie der Solnhofener Plattenkalkstein am Boden, der Muschelkalk der mondrian-artigen Kaminverkleidung oder die großformatige Schiebewand aus geflochtenen Schilfmatten – viel besser zur Geltung. Das Zurücknehmen verstärkt die Wirkung der strengen Geometrie des Gebäudes, des eindrucksvollen Spiels von Licht und Schatten und der gerahmten Landschaftsbilder. Weiß ist in diesem Meisterwerk mehr als Weiß."

Volker Schreiber über das Spurenlesen

 
  • <p>Ein Aufeinandertreffen von Gegensätzen; <i>Foto: Guido Erbring, Köln</i></p>

    Ein Aufeinandertreffen von Gegensätzen; Foto: Guido Erbring, Köln

  • <p><i>Foto: Guido Erbring, Köln</i></p>

    Foto: Guido Erbring, Köln

  • <p><i>Foto: Guido Erbring, Köln</i></p>

    Foto: Guido Erbring, Köln

  • <p>Eine klare Struktur; <i>Foto: Guido Erbring, Köln</i></p>

    Eine klare Struktur; Foto: Guido Erbring, Köln

  • <p><i>Foto: Guido Erbring, Köln</i></p>

    Foto: Guido Erbring, Köln

Davon zeugen die Naturstützmauer, die raumhohe Verkleidung des Kamins mit Muschelkalk, deren Rechtecke den Grundriss wiedergeben, oder die raffinierte Setzung von visuellen Kontrapunkten – eine Bruchsteinwand gegenüber dem verglasten Eingang etwa oder eine tiefblaue Wand am Ende des weiß gestrichenen Flurs.

Und natürlich auch die Annehmlichkeiten, die Breuer in der neuen Welt kennengelernt hatte und mit denen er nun das Haus in seiner alten Heimat ausstattete: Wand- und Deckenheizung, ein durch alle nach Süden orientierten Räume etwa 20 cm unter der Decke durchlaufender Balken, der – mit Glühlampen (heute mit LED) bestückt – die Zimmer mit indirektem Licht versorgte, der schon erwähnte Kamin, der an Frank Lloyd Wrights Feuerstelle als Hausmittelpunkt erinnert.

Für die Schiebefenster entwickelte Breuer eine Konstruktion aus U-Profilen, wodurch die Scheibe unten auf einer Kugellagerschiene und oben in einer Nut geführt wird. Dicke Rahmen werden dadurch vermieden, der Eindruck des Fensterbandes wird nicht gestört.

All das wurde originalgetreu restauriert. Alufenster, die 1982 eingebaut wurden, hat Schreiber wieder gegen Holzfenster ausgetauscht. Einfachverglasungen wurden durch Zweifach- oder Dreifach-Isolierverglasungen ersetzt. Schwieriger war die Dämmung, die wegen der Wandheizung außen erfolgen musste. Zuhilfe kam Schreiber, dass der ursprüngliche Putz auf den Außenwänden insgesamt 7 cm dick war.

Schreiber ließ den Putz abschlagen und durch eine 8 cm starke PU-Dämmung mit einem feinkörnigen weißen Oberputz ersetzen, der abschließend gefilzt wurde.

So konnten die für die Architektur so wichtigen schlanken Proportionen in etwa erhalten werden. Vor der Sanierung lag der Heizöl-Verbrauch bei jährlich rund 11.000 Litern, nun liegen die Energiekosten in einem bezahlbaren Rahmen; wobei Öl durch Gas in Kombination mit einer fast unsichtbaren Solaranlage auf dem nun hochgedämmten Dach ersetzt wurde. Die Grundrissdisposition blieb erhalten, nur die Bibliothek wurde zum Kinderzimmer, der Raum für das Hausmädchen zur Ankleide.

 

"Farben spielen in der Denkmalpflege eine hochbedeutsame Rolle. Durch die Verwendung von falschen Materialien – etwa kunststoffhaltigen Dispersionsfarben – und durch falschen Auftrag sind schon viele Denkmäler geschädigt worden. Im Haus Harnischmacher II gibt Marcel Breuer der Farbe eine eher dienende Rolle, die die ‚reine‘ Wirkung der Architektur, der Räume, des Lichts verstärkt: die Komposition des Gebäudes aus Wandscheiben etwa, dazu passend das farblich abgesetzte Flachdach oder das Thema der raumhohen Öffnungen. Insgesamt freue ich mich auch als Denkmalpfleger sehr über die gelungene Sanierung des Hauses: Durch die enge Zusammenarbeit von Bauherr, Architekt, Denkmalpflegern und den Bauausführenden ist es hier gelungen, ein besonderes Denkmal seiner Bedeutung entsprechend behutsam herzurichten und fit zu machen für eine hoffentlich lange Zukunft."

Martin Horsten über die Besonderheit in der Denkmalpflege

 
Poolbereich an der Steinmauer

Spürbar vom Bauhaus beeinflusst; Foto: Guido Erbring, Köln

Flügel, Steinwand

Grenzen zwischen innen und außen verschwinden; Foto: Guido Erbring, Köln

Wohn- und Essbereich

Der Eigentümer versprach, das Haus nach und nach mit Breuer-Mobiliar einzurichten; Foto: Guido Erbring, Köln

Modernes Badezimmer

Foto: Guido Erbring, Köln

Foto: Guido Erbring, Köln

Marcel-Breuer-Villa, Wiesbaden

Ein raffiniertes Spiel von Licht und Schatten; Foto: Guido Erbring, Köln

Wohnbereich, Flügel

Foto: Guido Erbring, Köln

 

Projektdaten

  • Objekt: Marcel-Breuer-Villa, Wiesbaden
  • Standort: Schöne Aussicht 53, 65193 Wiesbaden
  • Bauherr: Stefan Eller, Wiesbaden
  • Nutzer: Stefan Eller, Wiesbaden
  • Architekten: Schreiber + Partner, Wiesbaden
  • Bauleitung: Volker Schreiber, Markus Laukart, Wiesbaden
  • Tragwerksleitung: Nickel+Kansy, Hochheim
  • TGA: Sellke Haustechnik, Wiesbaden; Klees-Elektroinstallation, Wiesbaden
  • Technischer Berater: Borris Gönner, Brillux Wiesbaden
  • Nutzfläche: 266 m²
  • Brutto-Geschossfläche: 360 m²
  • Brutto-Rauminhalt: 1.015 m³
 
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